DIESE REVOLUTION HAT KEIN LIED

Ein bewegter und bewegender Rückblick des „Kollektiv Herzfeld“ in die Revolutionszeit in München als sichtbares Hörspiel - musikalisch angemalt von Le Millipede „solo“

Es lesen: Renate Groß & Oliver Leeb
Musik: Mathias Götz – Le Millipede „solo“
Konzept/Visuals: Florian Weiß & Reinhard Pabst
Regie: Reinhard Pabst

 


 

Ob sie sich wohl in den Jahren 1918/19 in München begegnet sind?
An diesem Abend tun sie es: zumindest ihre Erinnerungen.
Und es geht um nicht weniger als die erste Demokratie auf deutschem Boden.

Der preussische Gelehrte Victor Klemperer und der „Anarchobayer“ Oskar-Maria Graf berichten von ihren Erlebnissen bei der Ausrufung des Freistaats Bayern, dem Wahlkampf zu den ersten demokratischen Wahlen in Deutschland, Kurt Eisners Ermordung – sowie der Gründung und blutigen Niederschlagung der bayerischen Räterepubliken.

Ein Stück voller hochfliegender Träume und harten, blutigen Realitäten …

Was verbinden die Bayern mit dem 8.11.18?

Eigentlich müsste der 8. November in Bayern ein Feiertag sein – die Gründung des Freistaats oder eben auch die Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland ausgehend von München. Und ein solcher Festtag war er auch im Jahre 2018 – zumindest gab es zum 100. Geburtstag einen Festakt der bayerischen Staatsregierung und das Kulturreferat der Landeshauptstadt München unterstützte ein vielfältiges Programm.

Dieser 8. November 1918 sollte aber nicht nur an seinen „runden Geburtstagen“ gefeiert werden, sondern sich eigentlich in das kollektive Gedächtnis einer demokratischen Gesellschaft „einbrennen“: Die Monarchie war von heute auf morgen unblutig (!) beendet worden und große, noch heute wichtige Veränderungen wurden in Gang gesetzt - u.a. das Wahlrecht für Frauen, das Entstehen von Betriebsräten, usw ...

Und genau auf diese Zeit wollen wir mit unseren beiden „Protagonisten“ Oskar-Maria Graf und Victor Klemperer zurückblicken. Obwohl die beiden Antipoden unterschiedlicher kaum sein könnten, haben sie doch gar nicht so selten Ähnliches wahrgenommen, das dann aber sprachlich doch sehr unterschiedlich formuliert: so oszilliert das Stück zwischen textlich elegant (Klemperer) und sprachlich „brachial“ (Graf).

Der Titel des Stücks stammt von Oskar-Maria Graf – in „Wir sind Gefangene“ schrieb er bezogen auf diese Zeit: „Diese Revolution hat kein Lied. Das ist doch das Schlimme …“

 


 

Impressionen

OSKAR MARIA GRAF

SCHRIFTSTELLER
* 22.7.1894 BERG
+ 28.6.1967 NEW YORK

»IMMER MUSS REVOLUTION SEIN!«

OMG „dichtete und lief in der Revolution herum“:
In seinem autobiographischen Roman „Wir sind Gefangene“ beschreibt er seine Erlebnisse im revolutionären München.

Eine Zitatauswahl:

»DIESE GANZE REVOLUTION IST NICHTS«, MURRTE ICH. »EINEN EINZIGEN TAGE HABEN SIE EIN WENIG KRACH GEMACHT UND JETZT? WAS TUN SIE JETZT? JETZT FANGEN SIE SCHON WIEDER AN MIT DEM AUFRÄUMEN. IST DOCH NICHTS DA ZUM AUFRÄUMEN!«

ICH WEIß NICHT, WAS DAS FÜR EIN FÜRCHTERLICH SCHLEIMIGES HÖLLENWERKZEUG IST, DIE PRESSE! IM KRIEG HABEN SIE GELOGEN, UND ALS DIE REVOLUTION GEKOMMEN IST, SIND SIE DAHERGEKOMMEN UND HABEN ALLE GESCHRIEBEN, WIR HABEN JA MÜSSEN, WIR SIND JA DAZU GEZWUNGEN WORDEN UND JETZT? JETZT LÜGEN SIE WIEDER GENAUSO.
ICH MÖCHTE BLOß WISSEN, WAS SIE NUN WIEDER FÜR EINE AUSREDE ERFINDEN WERDEN, WENN MAN SIE ZUR VERANTWORTUNG ZIEHT?

ÜBERALL ZOGEN LANGE REIHEN VERHAFTETER, ZERSCHUNDENER, BLUTIGGESCHLAGENER ARBEITER MIT HOCHGEHALTENEN ARMEN. SEITLICH, HINTEN UND VORNE MARSCHIERTEN SOLDATEN, BRÜLLTEN, WENN EIN ERLAHMTER ARM NIEDERSINKEN WOLLTE, STIEßEN MIT GEWEHRKOLBEN IN DIE RIPPEN, SCHLUGEN MIT FÄUSTEN AUF DIE ZITTERNDEN EIN. ICH WOLLTE AUFSCHREIEN, BIß ABER NUR DIE ZÄHNE FEST AUFEINANDER UND SCHLUCKTE. DAS WEINEN STAND MIR HINTER DEN AUGEN.
ICH SAH EINEM ANDEREN VERHAFTETEN INS AUGE.
DAS SIND ALLE MEINE BRÜDER, DACHTE ICH ZERKNIRSCHT, MAN HAT SIE ZUR WELT GEBRACHT, GROßGEPRÜGELT, HINAUSGESCHMISSEN,
SIE SIND ZU EINEM MEISTER GEKOMMEN, DAS PRÜGELN GING WEITER,
ALS GESELLEN HAT MAN SIE AUSGENÜTZT UND SCHLIEßLICH SIND SIE SOLDATEN GEWORDEN UND HABEN FÜR DIE GEKÄMPFT, DIE SIE PRÜGELTEN. UND JETZT? SIE SIND ALLE HUNDE GEWESEN WIE ICH, HABEN IHR LEBEN LANG KUSCHEN UND SICH DUCKEN MÜSSEN, UND JETZT, WEIL SIE BEIßEN WOLLTEN, SCHLÄGT MAN SIE TOT.
WIR SIND GEFANGENE!

 


 

VICTOR KLEMPERER

LITERATURWISSENSCHAFTLER
* 9.10.1881 LANDSBERG/WARTHE
+ 11.2.1960 DRESDEN

»MAN MÖCHTE IMMER WEINEN UND LACHEN IN EINEM.«

V.K. kam im Dezember 1918 mit dem Zug ins revolutionäre München und schrieb ab Februar 1919 als sogenanter „AntiBavaricus-Mitarbeiter“ Artikel für die Leipziger Volkszeitung und arbeite als Privatdozent an der Ludwigs-Maximilans-Universität.
In seinen Zeitungsartikeln bzw. in seinem Tagebuch berichtet er über seine Erfahrungen.

Eine Zitatauswahl:

ES IST MÜNCHENER TRAGIKOMIK. EISNER WIRD VON EINEM ÜBERHITZTEN PATRIOTEN ERSCHOSSEN, UND SEIN TOD BRINGT FAST NOCH MEHR UNHEIL ÜBER UNS ALS SEIN LEBEN. VOM FEBRUAR BIS ZUM MAI 1919 KOMMT MÜNCHEN NICHT AUS DER TRAGIKOMIK HERAUS: ALLES IST JÄMMERLICH, UND ALLES IST BLUTIG, MAN MÖCHTE IMMER WEINEN UND LACHEN IN EINEM.

…ÜBER KURT EISNER IM WAHLKAMPF:
»WENN MICH EINER VORWÄRTSDRÄNGEN WILL, DEN FÜRCHTE ICH NICHT; ICH BIN ALLEN DRÄNGERN VORAN, DENN ICH BIN EIN PHANTAST, EIN SCHWÄRMER, EIN DICHTER!« (TOBENDER BEIFALL) »ICH SPRECHE NICHT ALS MINISTERPRÄSIDENT, ICH SPRECHE ALS UNABHÄNGIGER UND VERRÄTER. ICH SOLLTE SIE AUFFORDERN, UNABHÄNGIG ZU WÄHLEN, ICH TUE ES NICHT. FOLGEN SIE IHRER MEINUNG, UND LASSEN SIE UNS EINIG SEIN!« IMMER WIEDER EIN AUFTOBEN DES JUBELS. JETZT EIN WIRKLICHER HERZENSTON: »LASSEN SIE MIR NUR EIN WENIG ZEIT, NUR EIN PAAR TAGE NOCH MÖCHTE ICH ALS IHR MINISTERPRÄSIDENT ARBEITEN KÖNNEN.« JEMAND RUFT VON DER GALERIE: »HUNDERT JAHRE.« SOFORT VERBEUGT SICH EISNER MIT WEIT AUSSCHWINGENDER BEWEGUNG DES ARMS WIE EIN BAJAZZO: »ICH WERDE MICH BEMÜHEN, IHRER FREUNDLICHEN ANREGUNG NACHZUKOMMEN. « UND WIEDER JUBELT DAS GANZE HAUS. […] SEIN ENTZÜCKTES PUBLIKUM - ICH MUßTE MIR DAS IMMER WIEDERHOLEN - WAR NICHT DAS LITERATENHÄUFCHEN DER »GEISTIGEN ARBEITER«, SONDERN BUCHSTÄBLICH DAS VOLK VON MÜNCHEN.

WENN MIR DIE ROTEN UND DIE WEIßEN KÄMPFER WENIG ZUSAGTEN,
SO WAREN MIR DIE MÜNCHNER BÜRGER MEHR ALS JE ZUWIDER.

 


 

Reaktionen von Zuschauerinnen und Zuschauern:

»Absolut berührend!«

»Ein Stück bayrische Geschichte, das jeder gesehen haben sollte«

»Eine tolle Komposition aus Text, Bilder und Musik – ein Genuss!«

 

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